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Rezension: Komm in meine Nacht

Dieser Gedichtsband enthält erotische Gedichte namhafter Lyriker aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Bei den Illustrationen im Buch handelt es sich um wunderschöne, erotische Zeichnungen von Gustav Klimt, die unmissverständlich verdeutlichen, dass die Liebe zwischen Mann und Frau ohne sexuelle Komponenten undenkbar ist.

Die Gedichte sind den Oberbegriffen: empfindsam, berauschendschön, sehnsüchtig, erwartungsvoll, wachgeküsst, sinnenfroh, heißgeliebt, wollusttrunken und traumverloren zugeordnet.

Auf Seite 96 fand ich ein Gedicht von Octavio Paz, das er vermutlich einst seiner Frau, einer bildschönen, blonden Französin, gewidmet hat. 1981 war ich gemeinsam mit acht anderen Studenten und unserem argentinischen Professor auf unserer mehrwöchigen Studienreise durch Mexiko bei Octavio Paz eingeladen. Besagte äußerst attraktive Französin führte uns durch die eheliche Wohnung in den Garten zu einem gläsernen Pavillon. Dort saß Octavio Paz an seinem Schreibtisch und lächelte uns Studenten beinahe gütig, zumindest aber wohlwollend an, während seine Frau ihm im Vorbeigehen liebevoll über das Haar strich. Dann erst begann er über die sozialpolitischen Verhältnisse in Lateinamerika mit uns zu sprechen. Dieses Bild hat sich in meinen Kopf eingeprägt. Der Nobelpreisträger Octavio Paz ist leider bereits verstorben, geblieben ist sein beeindruckendes Werk, zu dem auch das nachstehende Liebesgedicht zählt:

Tastend
Meine Hände
öffnen die Vorhänge deines Seins
kleiden dich in eine andere Nackheit
entblößen die Körper deines Körpers
Meine Hände
erfinden einen anderen Körper
auf deinem Körper

Octavio Paz
(1914-1998)

Natürlich schrieben Dichter und Dichterinnen der Antike andere erotische Gedichte als die Lyriker und Lyrikerinnen im Hier und Heute und Frauen drücken Liebe und Begehren lyrisch anders aus als Männer und zwar in allen Zeiten, wie man feststellen darf.
Unter dem Begriff "traumverloren" fand ich ein Gedicht, das mich ähnlich berührt hat wie jenes von Octavio Paz. Es handelt sich um ein Gedicht von Christian Morgenstern (1871-1914). Dieses Gedicht ist ebenfalls sehr zart und subtil erotisch, wie ich finde:

Von dir schein ich aufgewacht

Von dir schein ich aufgewacht,
und küsse dich am Halse,
und du, ohne Lid zu heben,

legst den Arm um mich, und sacht,
wie nach einer Chopin-Valse,
meinst du mit mir hineinzuschweben....
(siehe Seite 142)

Die erotischen Zeichnungen Gustav Klimts beginnen zu leben, sobald man sie als Visualiserung der Versinhalte begreift: "Mein Geschlecht zittert/wie ein Vögelchen/unter dem Griff deines Blicks./"...(Hilde Domin, 1909-2006)...oder auch "Schling mir den Arm um die lechzenden Glieder,/leg deinen Kopf an mein sehnendes Herz,/Küsse nur Lippen und Busen und Augen,/lass uns vergessen, vergessen den Schmerz."(Franziska von Reventlow, 1871-1918).

Ich frage mich, ob ein poesievoller Mann der bessere Liebhaber ist? Vielleicht, denn er umarmt auch mit Worten und das macht ihn für uns Frauen natürlich unwiderstehlich. Welche Frau ist nicht bezaubert von den Worten dieses Geliebten:

"Schön bist du, meine Freundin,
ja, du bist schön.
Hinter dem Schleier
deine Augen wie Trauben.
Rote Bänder sind deine Lippen;
lieblich ist dein Mund.
Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein,
wie die Zwillinge einer Gazelle,
die in den Lilien weiden.
Wenn der Tag verweht und die Schatten wachsen,
will ich zum Myrrhenberg gehen,
zum Weihrauchhügel."
(Vers aus dem Hohelied, Seite 90)

Ich wage mich keinen einzigen der Verse im Buch analysierend zu zerlegen, ihm ein Geheimnis zu entlocken, das ja stets nur für zwei Menschen gedacht ist: die jeweiligen Liebenden.

Vielleicht träumt man und denkt an eine ähnliche Situation, wenn man liest: "Manchmal bei irgendwelchen zufälligen Bewegungen streift meine Hand deine Hand deinen Handrücken/".... , jeder kennt das und mitunter spürt man diese Hand noch nach Jahren, wenn auch nur gedanklich...

Empfehlenswert.