Das vorliegende Buch erzählt von der Liebe in ihren ungezählten Facetten und dies geschieht dadurch, dass der Leser mit den schönsten klassischen Mythen vertraut gemacht wird.
Auf den Weg gebracht wurde das Buch von Dr. Ruth K. Westheimer und Jerome E. Singermann.
Dr. Ruth K. Westheimer, die ich das Vergnügen hatte auf der Frankfurter Buchmesse 2010 persönlich kennenzulernen, ist am 4.6.1928 geboren. Die Jüdin verließ Deutschland im Kindesalter. Ihre Eltern wurden in Ausschwitz ermordet. Ich möchte an dieser Stelle nicht ihre gesamten Lebensdaten, die man dem Klappentext entnehmen kann, wiedergeben, aber doch erwähnen, dass sie einst an der Sorbonne Psychologie und in den USA Soziologie sowie Sozialwissenschaften studierte und an der Columbia University ihren Doktortitel erwarb. Westheimer doziert heute noch in Princeton und Yale, wo sie als gefragte Expertin gilt.
Die Sexualwissenschaftlerin möchte anhand der Mythen aufzeigen, dass sich im Grunde an der Liebe zwischen zwei Menschen seit dem Altertum nichts geändert hat und die alten Mythen Probleme in der Liebe sehr gut deutlich machen.
Zur Sprache kommen: Teiresias, Phaidra und Hippolytos, Amor und Psyche, Leda und der Schwan, Helena und Paris, Laodameia und Protesilaos, Hermaphroditos und Salamakis, Narziss, Iphis und Ianthe, Danae, Pasiphae und der Stier, Theseus und Ariadne, Dido und Aeneas, Pygmalion und die Staue, Kanake und Makareus, Myrrha und Kinyras, Venus und Adonis, Pyramus und Thisbe, Hero und Leander, Orpheus und Eurydike, Alkestis und Admetos, Kephalos und Prokris, Akontios und Kypdippe, Keyx und Alkyone sowie Philemon und Baucis.
Den kurz szizzierten Geschichten sind Abbildungen berühmter Kunstwerke beigegeben, die Westheimer kommentiert hat. Mir gefällt, dass die Autorin im Hinblick auf den Mythos von Narziss Salvadore Dalis "Metamorphose des Narziss" gewählt hat, weil dieses Gemälde eine große Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten zulässt und wie kein anderes Bild deutlich macht, wohin Selbstverliebtheit führt. Auf den letzten Seiten des Buches findet man die Bildnachweise der insgesamt 26 Bilder.
Westheimer arbeitet sehr gut heraus, worum es bei den einzelnen Mythen geht. Es führt zu weit, an dieser Stelle alle 25 Mythen zu thematisieren, aber ich möchte auf die nach Westheimer vielleicht sinnlichste und erotischste Liebesgeschichte der ganzen Mythologie hinweisen. Hierbei handelt es sich um "Amor und Psyche". Die Autorin merkt an, dass sich hier zwei besonders schöne junge Liebende in der Dunkelheit begegnen und sich nicht durch Blicke, sondern durch die Berührung des Körpers kennenlernen. Dennoch genügt Psyche der gute und erfüllende Sex nicht. Sie muss ihren Geliebten in vollem Licht sehen und als den erkennen, der er ist, gleichgültig, welches Risiko dies birgt. Ihre Leidenschaft kann nur zu Liebe heranreifen, wenn sie dies tut, (vgl.S. 35 und 36). Den anderen als den erkennen, der er ist, macht Liebe erst möglich. Am Beispiel des Narziss wird deutlich, dass nicht jeder dazu in der Lage ist.
Ich war überrascht, wie viele Mythen mir bislang unbekannt waren. So hatte ich von "Alketis und Admetos" bislang ebenso wenig etwas gehört wie von "Kephalos und Prokris" und von "Laodameia und Protesilaos" hatte ich auch noch nie etwas vernommen.
Ich musste wirklich grinsen als ich den allseits bekannten Mythos von "Helena und Paris" las. Westheimer schreibt im Hinblick auf Paris, der als Prototyp für Männer einer bestimmten Art ein gutes Beispiel liefert: "Und glauben Sie mir, diese Typen sind nicht die tollen Hechte, für die sie sich halten beziehungsweise als die sie sich präsentieren, sondern oberflächliche Einfaltspinsel von der Sorte, die auf dieser Welt viel zu viel Schaden anrichtet."(Zitat: S. 56) Das sehe ich auch so.
Die Autorin unterstreicht, dass das Problem von Narziss nicht in erster Linie darin besteht, dass er sich selbst liebt, sondern genau wie Hermaphroditos, keinen liebt, (vgl.: S. 76). Am Beispiel von Narziss kann man gut nachvollziehen, was mit Menschen geschieht, die sich ausschließlich selbst lieben. Im Grunde nehmen sie ein kummervolles Ende, weil ihre Selbstverliebtheit keine Erfüllung finden kann.
Tief beeindruckt bin ich immer, wenn ich den Mythos von "Pygmalion und der Statue" lese. Es ist im Grunde die Geschichte der Traumfrau, die nicht perfekt bleiben kann, wenn sie ein Mensch aus Fleisch und Blut geworden ist. Westheimer fragt in diesem Zusammenhang nicht grundlos "Wann ist der Partner eigentlich der perfekte Partner? In einer Zeit der Internetlieben entsteht, wie ich meine, dieser Mythos immer wieder neu mit all seinen Erwartungshaltungen, die kaum ein Mensch zu erfüllen vermag."
Ein sehr nüchternes Urteil fällt Westheimer bezüglich "Hero und Leander", von denen sie meint, dass sie wegen ihres guten Aussehens und ihrer sinnlichen Anziehungskraft sehr schlechte Liebhaber waren, (vgl. S. 174).
Dr. Westheimer zeigt viele Facetten der Liebe auf und sie reflektiert ganz zum Schluss die Geschichte von "Philemon und Baucis". Die beiden Liebenden werden eines Tages, als sie vor dem Tempel stehen und auf ihr Leben zurückblicken auf Wunsch von Philemon in Bäume verwandelt. Sie wünschen sich während des Umwandlungsvorgang noch Lebewohl aber sie werden nicht getrennt, denn die Linde und die Eiche verschlingen ihre Äste einer Umarmung gleich auf ewig miteinander.
Die verwitwte Autorin kann sich den Weg, den das alte Liebespaar in dem Mythos ging, für sich nicht vorstellen, trotz ihrer großen Trauer um ihren verstorbenen Gatten. Das ist mehr als verständlich, wenn man Dr. Ruth K. Westheimer einmal persönlich erlebt hat. Sie ist quirligstes Leben pur, eine Frau, für die Liebe Leben bedeutet und nicht deren Gegenteil.
Ein sehr schönes Buch, das anregt über die Liebe und ihrer Abgründe nachzudenken.