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Rezension: Kamasutra - Die indische Liebeslehre- Sandhya Mulchandani

Dieser Prachtband befindet sich in einem wunderschönen Behältnis, das mit einem hellgrünen Band verschlossen werden kann. Dargestellt ist auf diesem aufklappbaren, hochwertigen Karton ein nacktes Liebespaar beim Liebesspiel. Das Paar blickt sich tief in die Augen und bekundet damit, dass ein befriedigender Akt nur möglich ist, wenn auch die Seelen der Liebenden dabei zu Wort kommen dürfen, sich Mann und Frau durch ihren intensiven Blickkontakt als Spiegel dienen.

Nach einen Vorwort von Dr. Sudhir Kakar und einer überaus erhellenden Einleitung von Sandhya Mulchandani, kann man sich text- und bildlich (gemeint sind circa 140 edle Liebesspiel-Abbildungen aus dem Kamasutra) in folgende Kapitel vertiefen:

1. Liebe verstehen
2. Amouröse Avancen und Vereinigung
3. Über Bräute und Vermählungen
4. Zugeständnisse und Privilegien einer einzigen Ehefrau
5. Die Ehefrauen anderer Männer
6. Wege der Kurtisanen
7. Agents Provocateurs

Das Vorwort beginnt mit einer Frage: "Ist das Kamasutra, das berühmteste Buch der alten Welt über erotische Liebe, heute noch von Belang?" Dr. Kakar beantwortet seine rhetorische Frage schon wenige Sätze später mit einem klaren Ja und erläutert, dass den meisten nicht bewusst sei, dass das Kamasutra mehr ist als nur ein Sexuallehrbuch sei. Es handelt sich nämlich um den ersten umfassenden Leitfaden zu einem erotischen Leben in seiner gesamten Fülle. Heute dürften die psychologischen Aspekte des Buches interessanter sein als die beschriebenen Sexualstellungen, meint Dr. Kakar weiter und verweist diesbezüglich auf Teil 6. Dort nämlich denkt eine Frau darüber nach, wie man an einen Liebhaber kommt, auch wie man diesen wieder los wird und auch, woran man erkennt, dass seine Gefühle für sie abkühlen. Das Kamasutra zeichnet sich durch viele weise Ratschläge aus, z. B. über Flirten und Verführen eines Partners und es macht deutlich, dass die Zeit nach dem Sex im gleichen Maße Aufmerksamkeit verdient, wie der Geschlechtsakt selbst, (vgl.: S. 8)

Wie man erfährt, hat das Buch seinen Status als Klassiker dadurch erlangt, dass es von elementaren, unveränderlichen menschlichen Eigenschaften handelt. Aufgezählt werden: Lust, Liebe, Schüchternheit, Ablehnung, Verführung und Manipulation.

Das Kamasutra beabsichtigt nicht nur die erotischen Wonnen aus einer einschränkenden Moral von Fruchtbarkeit und Fortpflanzung zu befreien, sondern es möchte zudem eine Schutzzone für die Erotik vor der unbeherrschten sexuellen Begierde schaffen, unterstreicht Dr. Kakar in seinem Vorwort.

In der Einleitung wird man zunächst darüber informiert, dass alle heiligen Schriften des Hinduismus reich an sexueller Symbolik sind, über die man in der Folge Erhellendes erfährt. Kamaveda, dem griechischen Eros nicht unähnlich, ist jung sowie attraktiv und reitet zum Zeichen seiner Lüsternheit einen Papagei. Seine ständige Begleiterin Rati ist der Frühling. Mit ihr wird er in der Literatur nach einen promiskuitiven Liebesjagen vereinigt. Nach Vorstellungen des alten Indien bekannte man sich offen zum Verlangen. Das heißt letztlich, dass eine aufgeschlossene Einstellung zur Sexualität vorherrschte, die frei von Heuchelei, Falschheit und Hemmung war, (vgl.: S. 15).

Die indische Gesellschaft soll eine ganzheitliche Auffassung von allen Aspekten des Lebens vertreten haben und wies aus diesem Grunde der Sexualität ihre gebührende Rolle in den größeren Zusammenhängen der Dinge zu. Im alten Indien war das Kräftespiel zwischen körperlichen, biologischen und höheren evolutionären Bestrebungen ein integraler Bestandteil der sittlichen, religiösen und spirituellen Tradition, (vgl.: S. 16 u. 17). Wie man liest, muss jeder Hindu sechzehn Rituale (Samskaras) und vier Lebensphasen (Ashramas) durchlaufen. Laut dem "Purusharthas" gibt es vier verschiedene Ziele im Leben, genannt werden: Rechtschaffenheit, Verlangen, materieller Wohlstand und Befreiung. Sofern einer der Bereiche vernachlässigt wird, entsteht verminderte Existenz, die Unausgewogenheit und Elend zur Folge hat, (vgl. S. 18).

Das Kamasutra, dies wird in der Einleitung besonders hervorgehoben, ist kein Text über Lüsternheit, ebenso wenig eine Abhandlung, die auf das Streben nach heimlichen Sex in dunklen, abgelegenen Ecken eingeht, (vgl.: S..25), stattdessen ist das Kamasutra im Wesentlichen eine nüchterne Darstellung über die zu der Zeit herrschende Gesellschaftsstruktur und thematisiert Umgangsformen, Verhalten, Sexologie sowie Kultur, (vgl.: S. 28).

Das Buch erörtert zunächst den Platz des Kamasutras im Leben von Männern und Frauen, die drei Lebensziele, die Notwendigkeit des Wissens, die Rolle eines gebildeten Städters und die Vermittler. Man erfährt in diesem Zusammenhang zunächst, dass der älteste Erotikratgeber der Welt zwischen dem 3. u. 6. nachchristlichen Jahrhundert von einem Autor namens Vatsyayana verfasst worden ist und dass er sein Buch in sieben Teile mit 36 Kapitel untergliedert hat. Beantwortet wird u.a. die Frage, weshalb Männer und auch Frauen das Buch studieren sollten, auch wird auf die Kunstfertigkeiten eingegangen, über die ein Mädchen verfügen sollte. In 16 Künsten sollte sie sich nach alter indischer Vorstellung auskennen: "...die Gedanken anderer zu lesen, Liebesäußerungen, ihr Geneigtsein durch Gebärden zeigen, behutsames Berühren ihre Körpers erlauben, liebevoll mit den Nägeln kratzen, sachte beißen, den Knoten ihres Untergewandes verführerisch lösen, ihre Scham entblößen, sich aktiv am Geschlechtsverkehr beteiligen, den Partner erfreuen, Befriedigung erlangen und dies auch für den Partner sicherstellen, den Partner zum Geschlechtsverkehr ermuntern, sich wütend geben, den wütenden Partner besänftigen, den schlafenden Partner verlassen, nach dem Verkehr schlafen gehen..."(Zitat. S. 58).

Man liest von den optimalen Voraussetzungen für das Liebesspiel, auch über Hygiene, über Festlichkeiten, die Rolle eines Vermittlers und erfährt, welche Frauen als Geliebte nach alter indischer Vorstellung ungeeignet waren. Sofern eine Frau bereits fünf Liebhaber hatte, dürfte sie von allen umworben werden.

In der Folge wird man über amouröse Avancen, über das Entfachen von Verlangen, Umarmungen, Küssen und Liebkosungen, die Kunst des Kratzens, Beißens, über Liebesakte mit besonderen Vorlieben, über Frauen in der männlichen Rolle, über Oralsex und das kunstvolle beenden des Liebesspiels aufgeklärt. Männer werden typisiert in Hasen, Stiere und Hengste und Frauen werden nach der Größe ihrer Vagina oder "Yoni" eingeteilt. Nach altindischer Vorstellung war es bei der Vereinigung von Paaren wünschenswert, dass die Maße in den Größen übereinstimmt, weil nur dann der Koitus wirklich befriedigend sein kann. Dieser Ansicht stimme ohne Einwände zu.

Hervorragend erläutert werden die unterschiedlichen Grade der Wonnen, die verschiedenen Arten von Liebe, sexuelle Fantasien, die 64 Bestandteile des Vorspiels, die möglichen Umarmungen, die unterschiedlichen Arten des Küssens und auch der so genannte "Kusskrieg". Nach vielem Hin und Her schließlich kommt man auch im Kamasutra zur Sache.

Im Kamasutra geht man von der Vorstellung aus, dass je besser das Verständnis der Vorgänge und der damit verbundenen Emotionen ist, um so vorteilhafter gestaltet sich die Technik und um so fähiger sind die Liebenden. Man lernt günstige Stellungen für Frauen und auch für Männer kennen, auch ungewöhnliche Praktiken und sexuelle Resonanz. Ich möchte nicht auf all die genannten Stellungen im Buch hier näher eingehen, weil dies den Rahmen der Rezension sprengen würde. Ich stimme mit den alten Indern überein, dass Sachkenntnisse im Rahmen von sexuellen Praktiken nützlich und der Liebe in all ihren Facetten alles andere als abträglich sind, sofern man keinen westlichen Leistungsdruck aufbaut.

Thematisiert werden anschließend verschiedene Möglichkeiten der Eheschließung und das Umwerben, auch wird über die ideale Ehe philosophiert. Nach Vorstellungen des Kamasutra sind Ehen dann am besten, wenn zwischen Mann und Frau, das was Freuden, Geschmack und Vergnügungen anbelangt Übereinstimmung vorhanden ist und wenn sie eine ähnliche Herkunft haben, (vgl.: S. 184).

Zur Sprache kommen ferner das Verhalten der Ehefrau, auch einer solchen, die von ihrem Mann abgelehnt wird und Ehemänner mit mehreren Frauen, auch Ehefrauen anderer Männer. Aufgezeigt wird zudem, weshalb bestimmte Männer bei Frauen Erfolg haben und man darf sich über die sinnliche Liebe eines Königs schlau machen.

Wie man seine Anziehungskraft steigern kann, erfährt man zu Ende des Buches. Sich zu verschönern wird als taugliche Mittel genannt.

Dieses kostbare Buch dient nicht nur dem Lesegenuss, sondern es bereitet aufgrund der Bilder auch optische Freuden.

Empfehlenswert.


Bilder: Mit freundlicher Genehmigung Collection Rolf Heyne

http://www.collection-rolf-heyne.de/




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